Kommentar / Kontext / Wirkungsgeschichte:
Stötzers enge Beziehung zur Literatur aller Zeiten und ihren Hervorbringern führte ihn zu außerordentlichen Formfindungen. Der Preuße Heinrich von Kleist war ihm „ein Liebender, dem der Tod als höchste Vereinigung vorschwebt, ein stotternder Poet, ein Patriot ohne Vaterland...“. Stötzer drückte seine Wertschätzung mit Worten von Bodo Uhse aus. Ihm, Stötzer, blieben die Geschöpfe von Kleist's Dichtung. „Sie können durch den Skulpteur ein Zeichen werden, aber eben in dem Sinn, daß aus der Moral des Dichters die Moral der Form wird, ohne daß dabei der Sinn einer bestimmten Figur aufgehoben wird.“ Das hat der Bildhauer verwirklicht – er fand Zeichen für Zerrissenheit und Zweifel, die Menschen, ob selbstverschuldet oder nicht, in aussichtsloser Lage plagen.
Das Kleist-Museum in der Oderstadt erhielt Ende der 1980er Jahre vom ansässigen Baustab für Bildkunst und Denkmalpflege (1968-1990) drei Werke in seinen Besitz, deren Auftrag es angeregt hatte. Neben dem Unikat des Bronze-Relief „Michael Kohlhaas“ von 1986 waren dies zwei Sandstein-Skulpturen, die seither im Garten des Museums stehen. Es handelt sich dabei um Entwürfe einer Doppelfigur von 1986 bzw. 1989, die diese in unterschiedlicher Standpose abbilden: eng hintereinander gereiht, die Hand der zweiten Figur lagert auf der linken Schulter des Vorderen, sowie in halbe Drehung versetzt mit erhobenen Armen unterhalb bzw. über dem Gesicht. Man beachte die sehensreiche Formung der Leiber. Schichtungen des Steins werden durch Abschlagen freigelegt, Sprünge und Grabungen darin sichtbar. Und auf der steinigen Haut befinden sich mit dem Eisen geschabte Striche. In der Sandstein-Fassung von 1989 erinnert die Gestaltung des ersten Kopfes an ein Kleist-Porträt, das der 24-jährige Dichter 1801 von Peter Friedel für seine Verlobte anfertigen ließ. Damit scheint das "Geheimnis" der Doppelfigur Kleist-Kohlhaas gelöst.
Stötzer bezeichnete seine Werke bei der Übergabe als „Zustände und Versuche meiner Arbeit an einer möglichen Skulptur, den Michael Kohlhaas betreffend.“
Hans Kohlhase, der echte Vorgänger des zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Kleists Novelle geschilderten Michael Kohlhaas, war ein Pferdehändler, 1540 in Berlin öffentlich hingerichtet. Er hatte nach einem ihm geschehenen Unrecht zur Selbstjustiz gegriffen und zahlte dafür mit seinem Leben.
Die Kleistschen Spannungsfelder sind auch heute aktuell: Freiheit versus Unterdrückung, Rechtsstaat versus Diktatur, Moral gegen unrühmliches Verhalten, niedrige gegen obere Schichten.
Das Thema des Michael Kohlhaas war für ihn nicht ausgeschöpft. 1998 schuf er den Marmortorso "Michael Kohlhaas" (Galerie Schwind, Frankfurt a. M.). 2004/2005 kehrte er nochmals zum Thema zurück und widmete dem Dichter, der nur 34 Jahre alt geworden war, die Marmor-Stele „Für Kleist“, heute im Nachlass des Künstlers.