Kommentar / Kontext / Wirkungsgeschichte:
Gegensätze wirken anziehend. Das Skulpturenpaar, das seit einem Vierteljahrhundert die Promenade einer vielbefahrenen Potsdamer Straße in Nähe des Brandenburger Tores besetzt, verkörpert diese Alltagsweisheit in vielfältiger Gestalt. Werner Stötzer, Urheber der "Toleranz", spürt in seinem Ensemble die Urform des Steins auf: Figur und Torso, voneinander getrennt, rückseitig abgewandt und zugleich beieinander. Unschwer erkennbar, es handelt sich um Mann und Frau, wobei der jeweilige Blickpunkt des Betrachters entscheidet, wer zuerst gesehen wird. Dabei scheint die stehende männliche Figur mit dem kantigen, nach vorn schauenden Gesicht bevorteilt. Im Moment des Weggehens ist ihr rechter Fuß leicht vorgeschoben, der linke Arm greift nach oben und lagert an Schulter und Kopf gelehnt. Der Kommentator des Eintrags der Skulptur in der Publikation "Kunst im öffentlichen Raum" der Stadt sieht in der Figur des Mannes eine "eindrucksvolle Siegerpose, die an die von Michelangelos David" erinnere (Schermer, Dirk Alexander, 2016, S. 23). Aber der weibliche Torso im Rücken dieser Statue zeigt, mit anderen Mitteln, keineswegs weniger Präsenz und Strahlkraft. Am Boden lagernd, zeichnet das Maß seiner Kompaktheit, der Wölbungen und Rundungen in sich gekehrte Ruhe und Gelassenheit aus. Diese Gebärden und Gesten machen den reduzierten Körper ohne Kopf, Arme und untere Gliedmaße in der Gesamtsicht nicht schwächer, sondern ausdauernder und widerständiger.
Stötzer bekennt sich mit diesem Werk facettenreich zum Prinzip der Balance zwischen Unterschiedlichem und Gegensätzlichem im menschlichen Dasein. Die Methode des Auslotens von Anderem kennzeichnet sein künstlerisches Denken und Handeln wie seine Haltung im durch Veränderungen und Brüche bestimmten Leben der Gemeinschaft bzw. Gesellschaft. Der Bildhauer fand zudem eine Form, die den Spielraum des Betrachters zu eigenen Einsichten offen hält. So versinnbildlicht dieses Skulpturenpaar anschaulich den Titel, den es trägt: Tolerenz.
Das Thema zwischenmenschlicher Beziehungen haben weitere Großskulpturen von Stötzer zum Ziel. Der Bogen spannt sich über die 1995 in Neuhardenberg aufgestellte "Begegnung" (WVZ-Nr. 263) bis zum "Märkischen Tor" (WVZ-Nr. 450), an dem Stötzer von 2006 bis 2008 arbeitete.